Blog von Marcel Fratzscher – Ran an die Privilegien und Subventionen

Berlin (29.9.25) – Die Regierung kann sich weder darauf einigen, Steuern zu erhöhen, noch will sie am Sozialstaat kürzen. Doch es gibt andere Möglichkeiten, um viele Milliarden zu sparen.

Es herrscht ein breiter Konsens, der deutsche Staat könne sein enormes finanzielles Defizit in den kommenden Jahren nur durch eine Kombination aus höheren Steuern und weniger Ausgaben schließen. Doch das greift zu kurz. Denn es gibt eine zumeist wirtschaftlich und sozial klügere Option: den Abbau von Steuerprivilegien und Subventionen. Dadurch ließen sich jährlich dutzende Milliarden Euro einsparen und zusätzliche Vorteile erzielen. Die eigentliche Frage lautet also nicht, wie das Haushaltsloch geschlossen werden kann, sondern ob die Politik den Mut hat, mächtigen Lobbygruppen die Privilegien zu entziehen.

Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 26. September 2025 in der ZEIT in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Der Bundeshaushalt für 2026 und die Folgejahre zeigt, dass die Bundesregierung nicht mehr so weitermachen kann wie bisher. Schon jetzt fehlen ihr erhebliche Mittel, die Schuldenbremse einzuhalten, obwohl bereits heute ein Großteil der Investitions- und Verteidigungsausgaben daran vorbeigeführt wird. In den kommenden Jahren wird sich die Lage verschärfen. Die Alterung der Gesellschaft lässt die Kosten für Rente, Gesundheit und Pflege stark steigen, während die Steuereinnahmen kaum noch wachsen dürften.

Trotz des angekündigten “Herbstes der Reformen” blockieren sich die Koalitionspartner gegenseitig. Die SPD möchte Kürzungen, insbesondere im Sozialbereich, weitgehend verhindern und fordert Steuererhöhungen. Die Union will genau das Gegenteil: Steuererhöhungen vermeiden und die Finanzierungslücke vor allem durch Einsparungen schließen. Ganz übersehen wird die Möglichkeit, Subventionen zu streichen und Privilegien im Steuersystem abzubauen.

Jährlich 58 Milliarden Euro

Mein Kollege Stefan Bach vom DIW Berlin hat das Potenzial dieser Einsparungen bereits berechnet. Der deutsche Staat könnte jährlich mehr als 58 Milliarden Euro, also 1,4 Prozent der Wirtschaftsleistung, durch die Streichung steuerlicher Privilegien mobilisieren. Privilegien und Subventionen bedeuten, dass bestimmte Gruppen für bestimmte Tätigkeiten weniger Steuern zahlen als andere.

Beispiele dafür sind: 7,2 Milliarden Euro durch die Abschaffung des Dieselprivilegs, womit die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff im Vergleich zu Benzin bezeichnet wird. 2,5 Milliarden Euro wären durch den Wegfall des Dienstwagenprivilegs möglich, also die geringe Besteuerung, wenn Arbeitnehmer einen Firmenwagen auch privat nutzen. Fünf Milliarden Euro könnten bei der Pendlerpauschale gespart werden sowie fast drei Milliarden Euro beim Abbau von Steuervergünstigungen für Landwirtschaft, Biokraftstoffe und Flugkerosin.

Eine Begrenzung des Ehegattensplittings brächte knapp sieben Milliarden Euro, die Abschaffung von Minijobs 2,3 Milliarden Euro und das Ende der Steuerbefreiung für Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit weitere 3,3 Milliarden Euro.

Auch die steuerliche Begünstigung von Immobiliengewinnen belastet den Staat mit rund 7,5 Milliarden Euro jährlich. Die reduzierte Mehrwertsteuer für Hotels, Gastronomie und andere privilegierte Branchen (ohne Lebensmittel) verursacht weitere 13 Milliarden Euro. Zusammengerechnet ergeben diese Subventionen und steuerlichen Vergünstigungen 58 Milliarden Euro pro Jahr.

Es erfordert Mut und Konsequenz

Nicht enthalten sind die enormen Steuerausfälle durch großzügige Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer für große Unternehmensvermögen. Hier ließen sich zusätzliche zweistellige Milliardenbeträge erzielen. Zum Vergleich: Der Staat nimmt derzeit weniger als 15 Milliarden Euro an Erbschaft- und Schenkungsteuer ein – bei jährlichen Vermögensübertragungen von bis zu 400 Milliarden Euro. Das entspricht einer Besteuerung von unter fünf Prozent. Hinzu kommen bis zu 100 Milliarden Euro jährlich, die durch informelle Arbeit und Steuerhinterziehung verloren gehen.

Der Abbau von Subventionen und Privilegien hätte drei wesentliche Vorteile gegenüber Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Erstens wirkt er in vielen Fällen wirtschaftlich positiv: Es handelt sich nicht um Steuererhöhungen, sondern um mehr Gleichbehandlung und Fairness im Steuersystem. Das fördert Wettbewerb und Wachstum.

Zweitens ließen sich viele dieser Maßnahmen schnell und unkompliziert umsetzen, da sie oft keine neuen Gesetze erfordern und nur bestehende Privilegien gestrichen werden müssen. Zudem hätte der Abbau klimaschädlicher Subventionen – etwa für Diesel oder Flugkerosin – eine wichtige Lenkungswirkung. Er beschleunigt den Umstieg auf neue Technologien und mehr Energieeffizienz und verstärkt damit die Transformation der Wirtschaft.

Drittens ist dieser Abbau von Privilegien sozial klug und ausgewogen. Die Abschaffung wirkt in den meisten Fällen progressiv, sie betrifft vor allem Spitzenverdiener und Vermögende. Mit einer klugen, gut kommunizierten Umsetzung könnte die Bundesregierung also breite gesellschaftliche Akzeptanz gewinnen. Aber sie wird sich damit den Widerstand mächtiger Lobbygruppen einhandeln.

Doch selbst diese Gruppen würden langfristig profitieren. Eine Reform, die Dynamik und Wachstum schafft, erzeugt mehr Wohlstand und höhere Einkommen, auch für Unternehmen und Spitzenverdiener.

Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung im angekündigten “Herbst der Reformen” eine große Steuerreform einleitet – klug, fair und zukunftsorientiert. Zwar wird sie die zusätzlichen Ausgaben für Verteidigung nicht ohne deutliche Steuererhöhungen stemmen können. Aber durch den Abbau von Subventionen und Privilegien im Steuersystem könnte sie das Haushaltsdefizit schließen, ohne die Steuern zu erhöhen, und gleichzeitig mittlere sowie geringere Einkommen wie auch Unternehmen entlasten. Das erfordert Mut und Konsequenz. Und bietet die Chance auf einen echten Neuanfang.

Es gibt zu wenig Aufstiegschancen

Chancengleichheit bedeutet nicht, dass alle das gleiche Ziel erreichen müssen. Sie bedeutet, dass alle dieselben Startbedingungen haben sollten – die gleiche Qualität an Bildung, die gleiche gesundheitliche Versorgung, die gleiche Möglichkeit, Fehler zu machen und trotzdem voranzukommen. Doch davon sind wir weit entfernt. Schon in der frühen Kindheit entscheidet der Geldbeutel der Eltern über Qualität und Zugang zu Bildung. Im Schulsystem verstärken sich Unterschiede, anstatt sich auszugleichen. Und auch auf dem Arbeitsmarkt bleiben Aufstiegschancen oft verwehrt. 

Es geht ums Vertrauen der Jugend in die Demokratie

Wer aber früh erfährt, dass Anstrengung nicht belohnt wird, verliert Vertrauen – nicht nur in das Bildungssystem, sondern auch in die Gesellschaft und ihre Institutionen. So entstehen Resignation und Frustration, die in Politikverdrossenheit oder in der Abkehr von der Demokratie münden können. Chancengleichheit ist deshalb nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der Stabilität unserer Demokratie.

Was wir brauchen, ist ein neuer Generationenvertrag, der Chancengleichheit fest verankert. Dieser Vertrag muss das Versprechen erneuern, dass sich Leistung lohnt – unabhängig davon, in welche Familie man hineingeboren wird. Er muss die soziale Marktwirtschaft mit Leben füllen, indem er nicht nur Freiheit, sondern auch Fairness garantiert. Denn Freiheit ohne faire Chancen bleibt ein leeres Versprechen.

Investitionen in Bildung sind dringend geboten

Wir müssen investieren – in frühkindliche Betreuung, in Schulen, in Weiterbildung, in Gesundheit. Wir müssen aber auch unsere sozialen Sicherungssysteme so ausgestalten, dass sie nicht nur Risiken abfedern, sondern echte Aufstiegschancen eröffnen. Junge Menschen sind kein Kostenfaktor, sondern das größte Potenzial dieser Gesellschaft.

Deutschland kann es sich schlicht nicht leisten, weiterhin auf große Teile seiner jungen Generation zu verzichten. Chancengleichheit ist kein Luxus, den man sich in guten Zeiten gönnt, sondern die Bedingung dafür, dass Wohlstand und Demokratie in Zukunft Bestand haben. Sie ist das zentrale Versprechen, das wir der jungen Generation geben müssen.

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